Mittwoch, 30. Juni 2010

7. Erfahrungsbericht

Da der letzte Bericht mehr eine Schilderung war und ich nicht von Ereignissen in meinem Leben hier berichtet habe, werde ich in diesem 7. Erfahrungsbericht auch einige etwas ältere Punkte aufgreifen. Es ist tatsächlich schon der vorletzte Bericht, bevor ich meine große Heimreise nach Deutschland antreten werde. Es fehlt nicht viel bis Ende August, wenn drei neue Freiwillige uns hier ersetzen werden. Ich nutze die letzte Zeit noch so gut wie möglich aus und genieße jeden Tag in diesem wunderschönen Land, in dieser wundervollen Stadt San Cristóbal.
Und nun viel Spaß beim Lesen!

Als erstes möchte ich über den „Dia del niño“ berichten, der hier in Mexiko ganz groß gefeiert wird und auf den sich natürlich die Kinder ganz besonders freuen, da – wie der Name es schon sagt – hier das Kindsein gefeiert wird. So warten alle ganz gespannt auf den 30. April, hoffen auf
leckeres Essen, viele Süßigkeiten und einen spannenden Tag voller Spiele und Spaß. Da ich hier als Freiwillige in einem Kinderprojekt arbeite, wollten wir als Sueniños-Organisation den Kindern natürlich einen unvergesslichen Tag gestalten. So überlegten wir alle gemeinsam im Vornhinein welche Spiele gespielt und welche Geschenke verteilt werden sollten. Letztendlich teilten wir die Kinder in fünf Gruppen ein, in denen sie Stationen wie Fußballwandschießen,
Luftballondartwerfen, Kino, Schattentheater und Schokoladenauspacken durchliefen. Letztere war meine Station – ich schlug sie vor, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass mexikanische Kinder bei diesem Spiel weniger Spaß haben könnten als deutsche. Und tatsächlich, sie liebten es, der Würfel wurde überhektisch weiter gegeben, alle warteten auf eine sechs, war der nächste an der Reihe, wurde dem Vorherigen Mütze, Schal und Handschuh buchstäblich vom Kopf gerissen und mit voller Eifer weiter das Zeitungspapier um die Schokolade ausgepackt. Es war herrlich, ich hatte einen riesen Spaß den Kindern und ihren begeisterten Gesichtern zuzuschauen. Zum Abschied gab es eine riesige Torte für alle und natürlich Süßigkeiten. Die mexikanische Tradition einer piñata ließen wir im Projekt weg, da den Kindern an diesem Tag in fast allen Schule dieser Spaß schon gegönnt wird. Eine piñata ist eine Figur aus einem Tonkörper, beklebt mit viel buntem Papier, aufgehängt an einem langen Seil. Mit verbundenen Augen müssen die Kinder versuchen mit einer Art Baseballschläger diese Figur zu zerhauen. Das schwierige dabei ist, dass die Figur ständig in Bewegung ist und es so meist einige Runden dauert, bis die mit Süßigkeiten gefüllte piñata zerbricht und sich die gesamten Süßigkeiten über den Boden verteilen. Diese Tradition wird eigentlich an jedem Kindergeburtstag und an besonderen Festlichkeiten ausgeübt und ich muss sagen, dass auch mir sie besonders gefällt und ich schon meinen Spaß damit hatte :)
Zusätzlich haben wir einen Tag vorher in dem Stadtviertel „Explanada del Carmen“ die Aufführung des „Zirkus der Träume“ wiederholt. Eingeladen wurden alle Kinder und mit einer kleinen Geschenktüte zum Schluss sollten auch sie ihr Kindsein genießen können.

Kurz drauf, nämlich am 10. Mai wurde hier der „Dia de la mamá“ gefeiert. Anders als in Deutschland ist er immer am 10. Mai und wird – so wie ich es mitbekommen habe – auch
größer gefeiert. Ich hatte das Glück am Sonntag bei dem Elternworkshop Suemapas dabei sein zu dürfen und habe so mit den Eltern der Projektkinder schon einen Tag früher gefeiert. Ebenfalls wie am Dia del niño boten wir verschiedene Stationen an, die die Eltern (bis auf einen Papa kamen wie immer nur Mamas) durchliefen. Ein weiteres Mal wurde bei mir Schokoladenauspacken gespielt und ich fand es klasse, wie selbst die Erwachsenen einen solchen Spaß daran gefunden haben J Sehr interessant war, wie verschieden die Mamas auf das Spiel reagierten. So machten einige voller Elan mit, andere trauten sich nicht wirklich und wieder andere wusste nicht einmal wie man einen Würfel benutzt. Im Allen war der Tag genial, vor allem weil ich so zum ersten Mal einen näheren Kontakt zu den Eltern hatte und sie einmal in ihrer Art kennenlernen durfte. Die Eltern sind sehr verschieden, einige sprechen sehr gut Spanisch und unterhielten sich über Gott und die Welt mit mir, andere waren noch sehr traditionell und gingen ganz vorsichtig mit mir um und waren sehr höflich. Besonders viel Kraft gab mir der Kommentar einer Mama, die sich im Namen aller bei uns Freiwilligen herzlich bedankte, dass wir uns jeden Tag so liebevoll und mit Elan um ihre Kinder kümmern. Am Tag drauf fragte ich einige meiner Kinder, wie sie ihre Mama zum Muttertag glücklich gemacht haben. Ganz besonders süß fand ich Pancho, wie er mir erzählte, dass er ganz lange vorher 50$ (das sind etwa 3€) gespart habe, um mit seinen Geschwistern ihrer Mama einen Kuchen schenken zu können. Außerdem backte ich Kekse mit den Kindern, die wir als Herzform und mit bunten Kügelchen dekorierten. So viel Mühe wie die Kinder in das Dekorieren steckten, müssen sie ihre Mamas wirklich lieb haben!
Wenn ich ganz ehrlich bin bezweifele ich, dass sie sich zum Vatertag (der nach meinem Wissen in Mexiko gar nicht gefeiert wird) genauso viel Mühe geben würden. Oft ist es einfach so, dass der Papa sich nicht wirklich um die Kinder kümmert, teilweise sogar andere Frauen nachhause bringt und dies auch keineswegs vor seinen Kindern versteckt.

Wo wir doch gerade beim Thema „Mama“ waren. Zwar nicht ganz pünktlich zum Muttertag,
aber am 14. Mai kam mich dann meine Mama besuchen. Wir verbrachten drei wundervolle
Wochen gemeinsam, unternahmen kleine Ausflüge wie zu verschiedenen Wasserfällen, dem Strand und zu der Ruinenstätte Palenque. Über die Entstehung dieser Stätte und die Mayakultur möchte ich in diesem 7. Bericht ebenfalls ein wenig berichten.
Palenque ist eine der bedeutendsten Städte der Maya und gehört heutzutage zu den bekanntesten Ruinen ganz Mexikos. 1987 wurde sie zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Die Ruinen liegen mitten im Dschungel und die dort lebende Bevölkerung, die lacandonen werden als direkte Nachkommen der ehemaligen Bewohner Palenques betrachtet. Die ersten Spuren der Besiedelung Palenques lassen sich im vierten Jahrhundert nach Christus nachweisen. Der erste historisch bekannte König war K'uk' B'alam I. (431-435 nach Christus). Im 6. Jahrhundert entwickelte sich Palenque zu einer lokalen Großmacht und hatte großen Einfluss auf seine Nachbarstädte. Mittlerweile wurde die Stadt für Touristen geöffnet, wenn auch bis heute erst fünf Prozent der Bauten freigelegt sind. Der Rest ist sozusagen noch vom Dschungel „verschlungen“. Die ersten Ausgrabungen fanden 1940 statt und dauern noch immer an. Wie schon oben erwähnt, war Palenque damals eine bedeutende Maya Stadt.
Die Maya sind ein indigenes Volk in Mittelamerika, die neben den Azteken die größte Bevölkerung in Mexiko ausmachten. Die Maya lebten in Süd- und Südost-Mexiko (Yucatán) sowie in Teilen von Guatemala, Honduras und Belize. Dieses ausgedehnte Gebiet umfasste ungefähr 350.000 km². Heute leben zirka 6,1 Millionen Maya auf der Yucatán-Halbinsel sowie in Belize, Guatemala und Honduras. In Guatemala zählen etwa 40 % der Gesamtbevölkerung zu den Maya – in Belize sind es rund 10 %. Auch heute noch leben die meisten Maya vom Maisanbau. Die heutige Mayareligion ist eine Mischung aus Christentum und alten Maya-Traditionen. Als noch sehr traditionell lebende Gruppe sind die Lacandonen, ein Dschungelvolk in Chiapas, bekannt. Sie erkennt man an ihrer traditionellen Tracht eines einfachen weißen Baumwollgewands. Wie bei anderen indigenen Kulturen Mittelamerikas spielt auch bei den Maya das menschliche Blut eine besondere Rolle. Aus Sicht der Maya war das Blut Sitz der Seele und Lebenskraft. So waren Menschenopfer durchaus üblich. Die Art der rituellen Hinrichtungen reichte von Köpfen, Ertränken, Erhängen, Steinigen, Vergiften, Verstümmeln bis hin zu lebendig begraben. Zu den grausamsten Tötungsarten gehörte wie bei den Azteken das Aufschlitzen des Bauches und das Herausreißen des noch schlagenden Herzens.

Was in einem Erfahrungsbericht des Monats Juni natürlich auch nicht fehlen darf ist das aktuelle Thema der Fußball WM. Nicht nur in Deutschland wird diese mit viel Spannung, Freude, Nervenkitzel und die ein oder andere Enttäuschung verfolgt. Auch die Mexikaner lassen alles liegen und stehen, wenn es um das Thema Fußball und die WM geht. Die Läden verdienen an etlichen Fanartikeln, die Bars freuen sich über mehr Einnahmen und die Bevölkerung über spannende Partien und ihre Stars des mexikanischen Nationalteams. An einem Spieltag trifft man sich dann mit seinen Freunden um 9 Uhr in der früh oder um halb zwei mittags (bzw. um 6h morgens wenn Deutschland spielt :) ) in einer der vielen Bars, bestellt eine Runde Bier für alle und feuert mit Rufen wie „viva México“ (es lebe Mexiko!) oder „vamos équipo, vamos“ (auf
geht’s Team, looos!) die grünen Spieler an. Es ist in der Tat eine neue Erfahrung die Spiele mal am Morgen zu sehen, so müssen wir hier doch mit 7 Stunden „Verspätung“ mitfiebern. Mir gefällt die Stimmung, sie ist aber bei weitem nicht so wild wie in Deutschland. Es gibt keine „Autokorsos“, man sieht nicht mehr Flaggen als sonst auch an den Häusern hängen und riesige public viewing so wie ich sie aus Frankfurt kenne, gibt es hier auch nicht. Es wird eben anders gefeiert! Außerdem muss man dazu sagen, dass Basketball nach wie vor der Volkssport der Mexikaner ist, wobei Fußball schon gut aufholt. Ich genieße die Zeit der Fußball-WM hier sehr. Durch meine Arbeitszeit, die bis auf wenige Ausnahmen größtenteils auf den Nachmittag fällt, ist es mir möglich alle Spiele zu verfolgen und mit Freunden gespannt vor dem Fernseher zu sitzen.
Auch die Kids aus dem Projekt sind total im Fußballfieber. Stolz hat mir Emma erzählt, wie
sie am 1. Spieltag gegen Südafrika extra einen Fernsehapparat mit in die Schule genommen haben und bei refresco und palomitas (Softdrink und Popcorn) das Spiel gemeinsam geschaut
haben – statt Schule! Wenn dann wieder einmal Mexiko gespielt hat, unterhalte ich mich mit den Jungs beim Mittagsessen darüber, wie gut „Geovanni“ doch wieder gespielt hat oder dass
„conejo“ (der Torhüter, der den Spitzname „Hase“ trägt) das eine Tor doch hätte halten können. Seit kurzem ist auf dem Hauptlatz vor der Kathedrale auch eine Leinwand aufgebaut. Im Vergleich zu dem, was man aus Deutschland kennt, wirklich klein (vielleicht 3x4 Meter). Doch es ist etwas besonderes, dass so wirklich alle die WM mitverfolgen können und ihr Team anfeuern können. Dazu gibt es sogar Freibier und Freicocacola für alle. Mittlerweile weiß ich, dass dies eine Wahlkampagne einer der Bürgermeister-Kandidatinnen war, die Anfang Juli stattfinden wird. Mit Geschenken und ähnlichen Events versuchen sie die Wähler von sich zu überzeugen – und es klappt.
Heute am 27. Juni 2010 muss ich diesen Abschnitt zur Fußball WM leider schon beenden. Mexiko hat im Achtelfinale 3:1 gegen Argentinien verloren und muss nun Südafrika hinter sich lassen. Doch am nächsten Samstag wird Deutschland auf Argentinien treffen und dann zeigen wir ihnen mal wo der Hammer hängt!! :)

Mit diesen Worten verabschiede ich mich von euch und hinterlasse euch meinen 7.
Erfahrungsbericht. Er ist etwas kürzer geworden als die vorigen, was unter anderem daran liegt, dass mittlerweile wirklich alles so normal ist, dass ich über mein alltägliches Leben nicht mehr viel zu schreiben weiß.
Im nächsten und letzten Bericht werde ich über die „talleres de verano“ (Sommerworkshops) von Sueniños und über eine 2-wöchigen Friedensbeobachtung in einem kleinen Dorf hier in Chiappas schreiben, die ich schon seit Anfang meines Jahres hier machen wollte.

Seit gespannt und bis dahin lasst es euch gut gehen und passt auf euch auf!
Eure Tine

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