Mittwoch, 2. Juni 2010

6. Erfahrungsbericht


„Ejército de Zapatista de Liberación Nacional“
Zapatistische Nationale Befreiungsarmee
Abkürzung: EZLN

im Alltagssprachgebrauch: Zapatisten


INHALT:
1) Gründung
2) Anhänger
- Revolutionäre Frauengesetz
3) Politische und soziale Ziele
4) 1. Januar 1994
- Menschenrechtsverletzungen wie das Massaker von Acteal
5) Situation heute

1. Gründung
Die EZLN wurde am 17. November 1983 gegründet. Ihre Wurzeln lassen sich jedoch in den
unabhängigen Campesino- und Indígena-Organisationen (Bauernorganisationen) der 70er und 80er Jahre finden. Es war ein Zusammenschloss aus ganz verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die alle gemeinsam ein Ziel hatten: eine Veränderung, da sie mit ihrer momentanen Situation
unzufrieden waren. Bis die als Befreiungsarmee gegründete EZLN richtig Fuß fasste, dauerte es jedoch eine Weile, da durch die Unterschiedlichkeit der Ideen ihrer Mitglieder es zunächst unmöglich schien, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Innerhalb der ersten zehn Jahre entwickelte sich die EZLN mehr zu einer Guerillaarmee, da ihre Vorgehensweise nicht selten
(gerade zum großen Aufstand 1994) bewaffnet ablief. Am 1. Januar 1994 trat die EZLN das erste Mal in die breite Öffentlichkeit und es ist das zentrale Datum, wenn man von den Zapatisten spricht. Doch dazu später mehr…
In der Selva Lacandona, einem Urwaldgebiet an der Südostgrenze Mexikos wurde die Partei 1983 also gegründet. Seit dem gewann sie mehr und mehr Anhänger und ist heutzutage eine der aktivsten linksgerichteten rebellischen Parteien, die mittlerweile nicht nur in Mexiko und Lateinamerika, sondern auf der ganzen Welt bekannt ist. Ihr Name lässt sich zurückführen auf Emiliano Zapata, einen der historischen Führer der mexikanischen Revolution, in dessen Tradition sich die EZLN sieht.
Daher werden sie auch Zapatistas (oder auf Deutsch „Zapatisten“) genannt. Emiliano Zapatas Leitspruch „Justicia, tierra y libertad“ – Gerechtigkeit, Land und Freiheit – ist ebenfalls zum Leitspruch der Zapatisten geworden.

2. Anhänger
Wie schon erwähnt weist die EZLN eine hohe Diversität an Anhängern auf. Auch innerhalb der Partei gibt es verschiedene Züge, was schon zu einigen Abspaltungen und inneren (teils auch bewaffneten) Konflikten führte.
Im Allgemeinen findet sich in der EZLN jedoch der Teil der Bevölkerung zusammen, der sich unrecht behandelt, ausgestoßen und benachteiligt fühlt. Im weitesten Sinne ist das die (untere) Mittelschicht bis hin zur „letzten Stufe“, den indigenas, die in Mexiko sehr häufig immer noch nicht als Teil der Bevölkerung angesehen werden und die grundlegendsten Rechte eines Menschen nicht genießen dürfen. Die indigenas machen den größten Teil der Zapatisten aus, dazu kommen Land- und Fabrikarbeiter, Studenten und benachteiligte Frauen und Kinder, vor allem aus den Bergregionen des Hochlandes Chiapas. Chiapas und der Osten Mexiko ist nach wie vor Hauptschauplatz des Zapatismus. Hier befinden sich auch die 5 Hauptsitze der EZLN, die sogenannten „caracoles“ (Schneckenhäuser).
Den Frauen kommt in der EZLN eine ganz besondere Rolle zu. Sie werden in die Regierung mit einbezogen und sind als voll- und gleichwertiges Mitglied der Partei angesehen. Dies ist wirklich revolutionär, da Frauen in Chiapas nach wie vor mit hoher Diskriminierung zu kämpfen haben und oftmals werden sie durch ihren Mann ausgebeutet oder dürfen nicht entscheiden ob und wen sie heiraten. Im Durchschnitt muss jede indigene Frau fünf minderjährige Kinder versorgen, dazu ihre Männer und weitere Familienangehörige. Die vielen Geburten schwächen ihre Gesundheit und sind eine häufige Todesursache. Diese Umstände brachten die Frauen im zapatistischen Umfeld dazu, sich für ihre Gleichberechtigung einzusetzen. Sie begannen als Frauen für die Guerilla zu kämpfen, gründeten aktivistische Frauengruppen und brachten sich sogar in die Regierung mit ein, die vorher ganz streng Männersache war. Auch innerhalb der zapatistischen Familie brachte dies große Veränderung mit sich. So war Frau nicht mehr bloß Hausfrau, sondern die häusliche Arbeit so wie das Kinderaufpassen wurde gerecht auf beide Partner verteilt.
Die Verabschiedung des „Revolutionären Frauengesetztes“ am 8. März 1993 wird von den
Zapatisten häufig als Revolution innerhalb der Revolution bezeichnet. 1996 wurde das Frauengesetz erweitert und beinhaltet nun 31 Punkte, die das Leben der Frau um einiges
erträglicher und gerechter machen.

Das Revolutionäre Frauengesetz von 1993:
Erstens: Frauen haben, unabhängig von Rasse, Glauben, Hauptfarbe oder politischer Orientierung, das Recht, sich am revolutionären Kampf an der Stelle und in dem Ausmaß zu
beteiligen, wie ihr Wille und ihre Fähigkeit es erlauben.
Zweitens: Frauen haben ein Recht auf Arbeit und auf eine gerechte Entlohnung.
Drittens: Frauen haben das Recht, zu entschieden, wie viele Kinder sie bekommen und aufziehen können.
Viertens: Frauen haben das Recht, sich an den die Gemeinden betreffenden Anliegen zu beteiligen und öffentliche Posten zu bekleiden, wenn sie dazu frei und demokratisch gewählt worden sind.
Fünftens: Frauen und Kinder haben das Recht, bei Gesundheitspflege und Ernährung an erster Stelle berücksichtigt zu werden.
Sechstens: Frauen haben ein Recht auf Bildung.
Siebtens: Frauen haben ein Recht, ihren Partner frei zu wählen und nicht zur Heirat gezwungen zu werden.
Achtens: Keine Frau darf geschlagen oder körperlich misshandelt werden. Verbrechen wie versuchte oder vollzogene Vergewaltigung werden schwer bestraft.
Neuntens: Frauen können Führungspositionen in der Organisation und militärische Grade in den revolutionären Streitkräften begleiten.
Zehntens: Frauen kommen in den Genuss aller Rechte und Pflichten, die in den revolutionären Gesetzen und Vorschriften vorgesehen sind.

3. Politische und soziale Ziele
Die EZLN richtet sich gegen den Neoliberalismus und kämpft als linke Organisation gegen die kapitalistische Globalisierung und setzt sich für eine autonome Selbstverwaltung ein. Im Gegensatz zu anderen Guerillabewegungen geht es ihr jedoch nicht darum, die Macht im Staat zu übernehmen. Sie kämpft vielmehr im Allgemeinen um eine Veränderung in der Politik. Dabei ist nebensächlich, welche Partei letztendlich an die Macht kommt, Hauptsache sie verfolgt die Ziele einer im Sinne des Volkes handelnden Regierung. „Mandar obedeciendo“ – gehorchend befehlen, ist eine der Hauptaussagen der EZLN. Das Volk soll Hauptakteur sein und autonome Strukturen auf kommunaler und regionaler Ebene sollen aufgebaut werden. Die Regierung soll lediglich als ausführende und leitende Hand des Volkes dienen, sich aber voll und ganz nach dessen Interessen richten. Dabei gebe es kein vorgeschriebenes Gesetz wie die Regierung zu handeln habe. Dies sei abhängig von der momentanen Situation und der Bedürfnisse der Menschen. „Preguntando caminamos“ – fragend gehen wir voran, ein weiteres Basiselement der EZLN, soll deutlich machen, dass die Regierung flexibel sein muss und ihr Handeln stets skeptisch hinterfragen müsse. Mit dem großen Aufstand 1994 zeigte die EZLN, dass sie politische Entscheidungen nicht stillschweigend hinnimmt und sich (auch rebellierend) für ihre Ziele einsetzt. Mit der Einführung des NAFTA-Abkommens am 1. Januar dieses Jahres habe die mexikanische Regierung die Wirtschaft schutzlos einem Wettbewerb mit den internationalen Unternehmen ausgesetzt, denen Mexiko nicht gewachsen sei. Die EZLN kritisiert darüber hinaus, dass die Kleinbauern nun völlig vor ihrem Ende ständen und Arbeitslosigkeit und Verhungern als Folge sähen. Kleine und mittelständige Betriebe hätten keine Chancen mehr auf dem Markt und die Reichtumsverteilung in Mexiko werde sich noch mehr verstärken. Auch den „Plan Puebla-Panamá“ lehnen die Zapatisten strikt ab, da er für die ärmere Bevölkerung bloß negatives zur Folge hätte. Ganze Bevölkerungen sollen umgesiedelt werden, damit Straßen und Häfen gebaut, Elektrizität gewonnen und die Bereiche Handel, Tourismus und Verkehr verstärkt werden können. Gewinner dieses Vorhabens seien abermals lediglich die Elite der Länder. Die EZLN fordert die Rücknahme dieses Planes und fordert Autonomie für die ländlichen und indigenen Gemeinden.


4. 1. Januar 1994
Mit der Einführung des NAFTA-Abkommens rat die EZLN das erste Mal öffentlich in Erscheinung. Maskierte Kämpfer besetzten gleichzeitig fünf Bezirkshauptstädte im Osten von Chiapas, unter anderem die für den Tourismus sehr bedeutende Stadt San Cristóbal de las Casas. Sie erklärten der mexikanischen Regierung den Krieg und ihren Willen, bis nach Mexiko-Stadt zu marschieren um dort die Regierung zu stürzen. Die mexikanische Armee reagierte mit einer Gegenoffensive und bei der Rückeroberung der vier besetzten Orte und den sich anschließenden zwölftägigen Kämpfen wurden etliche Menschen getötet, ehe die Regierung die Kämpfe einstellte. Nach einigen Tagen des Kampfes zogen sich die Zapatisten aus den Städten in die schwer zugänglichen Dschungeltäler zurück, in der die sie unterstützende indigene Bevölkerung lebt. Am 9. Februar 1995 folgte ein Überraschungsangriff der mexikanischen Armee, der zum Verlust einiger wichtiger Stützpunkte der Zapatisten führte. Des Weiteren wurden mehrere zehntausend Soldaten der mexikanischen Armee entlang der wichtigsten Straßen positioniert, damit sie so die Vorgehensweisen und Entwicklungen der Zapatisten besser kontrollieren konnten. Neu ins Leben gerufene paramilitärische Gruppen der Regierung sind verantwortlich, dass seitdem immer wieder blutige Überfälle auf zapatistische und sympathisierende Gemeinden stattgefunden haben. Menschenrechtsverletzungen stehen in den Bergregionen des Hochlandes Chiapas an der Tagesordnung. Eins der grausamsten Vorkommnisse war das Massaker von Acteal am 22. Dezember 1997. Bei dem Überfall ermordeten Paramilitärs 45 Menschen, darunter Kinder und schwangere Frauen. Polizei und Militär hätte eingreifen können, verließen jedoch nicht ihre Posten. Die Opfer gehörten einer christlich-gewaltfreien Gruppe „las abejas“ – die Bienen an, die den politischen Forderungen der EZLN nahe stehen. Diese Angriffe gehören zur Strategie des „Krieges niederer Intensität“, durch welche die EZLN aufgerieben werden sollte.

5. Situation heute
Am 9. August 2003 wurden die sogenannten „caracoles“ (Schneckenhäuser) gegründet. Das sind fünf regionale Verwaltungszentren, in denen die zapatistische Regierung ihren Sitz hat. Diese Regierung ist ihrer Bevölkerung sehr nahe und gemäß dem Demokratieverständnis der EZLN ist es sehr wichtig, dass alle Belange der jeweiligen Region in dessen Interesse gelöst werden. Dabei werden auch die Anliegen von Anwohnern bearbeitet, die nicht zapatistisch sind. Der Aufbau von mehr Autonomiestrukturen ist für die EZLN ein wichtiger Punkt, um der „ignoranten offiziellen Politik gegenüber der indigenen Bevölkerung Mexikos entgegenzutreten“. Es existieren seit 1995 auf kommunaler Ebene 38 autonome Gemeinden, die nun in den fünf caracoles zusammengefasst wurden. Sie alle haben ein regierungsunabhängiges Gesundheits und Bildungssystem, einkommensschaffende Projekte sowie ihre eigene Infrastruktur. An einer eigenen Gesetzgebung arbeiten sie noch. Anfang Januar 2006 begann eine auf mehrere Monate

angelegte Diskussionstour, in der Subcommandante und EZLN-Sprecher Marcos quer durch Mexiko reiste, um eine breite politische Bewegung zu schaffen. Im März 2007 begann eine zweite Phase, um ein Kampfprogramm gegen das derzeitige politische System zu entwickeln. Diese sogenannte „andere Kampagne“ ist geprägt von Demonstrationen und Märschen. Trotz ihrer seit elf Jahren anhaltenden Waffenruhe und ihrem Rückzug in die Urwälder hat die EZLN ihr politisches Anliegen medienwirksam voranbringen können. Der mexikanischen Gesellschaft ist die Problematik der Situation der unterprivilegierten indigenen Bevölkerungsschichten erstmals auf breiter Basis bewusst geworden. Ermutigt durch das Auftreten der EZLN hat es in weiten Teilen Mexikos nach 1994 mehrere zivile Protestkampagnen gegeben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass immer noch viel Arbeit geleistet werden muss, bis die soziale Ungleichheit zwischen indigenas und dem Rest des Landes völlig abgeschafft ist. Nichtsdestotrotz hat die EZLN einen großen Schritt dazu beigetragen, dieses Problem wieder öffentlich und zu einem aktuellen Thema zu machen – und das weit über den amerikanischen Kontinent hinaus. Mit verschiedenen zivil-politischen Initiativen setzt sich die EZLN für eine Verbesserung der Lage der indigenen Bevölkerung, eine Sozialisierung der mexikanischen Volkswirtschaft und die Demokratisierung Mexikos ein. Gleichzeitig wird sie jedoch nach wie vor bedroht und immer wieder angegriffen, einerseits von rechtsgerichteten Paramilitärs, aber auch von der Regierung selbst, die fürchtet, dass die EZLN zu stark wird und so die Regierung und ihre Ideen schwächen könnte. Ein Versöhnen zwischen der Regierung und der EZLN ist in naher Zukunft sehr unwahrscheinlich.


*** Un mundo donde quepan muchos mundos
- Eine Welt in der viele Welten Platz finden ***

weiteres Demokratieprinzip der EZLN

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