Mittwoch, 30. Juni 2010

7. Erfahrungsbericht

Da der letzte Bericht mehr eine Schilderung war und ich nicht von Ereignissen in meinem Leben hier berichtet habe, werde ich in diesem 7. Erfahrungsbericht auch einige etwas ältere Punkte aufgreifen. Es ist tatsächlich schon der vorletzte Bericht, bevor ich meine große Heimreise nach Deutschland antreten werde. Es fehlt nicht viel bis Ende August, wenn drei neue Freiwillige uns hier ersetzen werden. Ich nutze die letzte Zeit noch so gut wie möglich aus und genieße jeden Tag in diesem wunderschönen Land, in dieser wundervollen Stadt San Cristóbal.
Und nun viel Spaß beim Lesen!

Als erstes möchte ich über den „Dia del niño“ berichten, der hier in Mexiko ganz groß gefeiert wird und auf den sich natürlich die Kinder ganz besonders freuen, da – wie der Name es schon sagt – hier das Kindsein gefeiert wird. So warten alle ganz gespannt auf den 30. April, hoffen auf
leckeres Essen, viele Süßigkeiten und einen spannenden Tag voller Spiele und Spaß. Da ich hier als Freiwillige in einem Kinderprojekt arbeite, wollten wir als Sueniños-Organisation den Kindern natürlich einen unvergesslichen Tag gestalten. So überlegten wir alle gemeinsam im Vornhinein welche Spiele gespielt und welche Geschenke verteilt werden sollten. Letztendlich teilten wir die Kinder in fünf Gruppen ein, in denen sie Stationen wie Fußballwandschießen,
Luftballondartwerfen, Kino, Schattentheater und Schokoladenauspacken durchliefen. Letztere war meine Station – ich schlug sie vor, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass mexikanische Kinder bei diesem Spiel weniger Spaß haben könnten als deutsche. Und tatsächlich, sie liebten es, der Würfel wurde überhektisch weiter gegeben, alle warteten auf eine sechs, war der nächste an der Reihe, wurde dem Vorherigen Mütze, Schal und Handschuh buchstäblich vom Kopf gerissen und mit voller Eifer weiter das Zeitungspapier um die Schokolade ausgepackt. Es war herrlich, ich hatte einen riesen Spaß den Kindern und ihren begeisterten Gesichtern zuzuschauen. Zum Abschied gab es eine riesige Torte für alle und natürlich Süßigkeiten. Die mexikanische Tradition einer piñata ließen wir im Projekt weg, da den Kindern an diesem Tag in fast allen Schule dieser Spaß schon gegönnt wird. Eine piñata ist eine Figur aus einem Tonkörper, beklebt mit viel buntem Papier, aufgehängt an einem langen Seil. Mit verbundenen Augen müssen die Kinder versuchen mit einer Art Baseballschläger diese Figur zu zerhauen. Das schwierige dabei ist, dass die Figur ständig in Bewegung ist und es so meist einige Runden dauert, bis die mit Süßigkeiten gefüllte piñata zerbricht und sich die gesamten Süßigkeiten über den Boden verteilen. Diese Tradition wird eigentlich an jedem Kindergeburtstag und an besonderen Festlichkeiten ausgeübt und ich muss sagen, dass auch mir sie besonders gefällt und ich schon meinen Spaß damit hatte :)
Zusätzlich haben wir einen Tag vorher in dem Stadtviertel „Explanada del Carmen“ die Aufführung des „Zirkus der Träume“ wiederholt. Eingeladen wurden alle Kinder und mit einer kleinen Geschenktüte zum Schluss sollten auch sie ihr Kindsein genießen können.

Kurz drauf, nämlich am 10. Mai wurde hier der „Dia de la mamá“ gefeiert. Anders als in Deutschland ist er immer am 10. Mai und wird – so wie ich es mitbekommen habe – auch
größer gefeiert. Ich hatte das Glück am Sonntag bei dem Elternworkshop Suemapas dabei sein zu dürfen und habe so mit den Eltern der Projektkinder schon einen Tag früher gefeiert. Ebenfalls wie am Dia del niño boten wir verschiedene Stationen an, die die Eltern (bis auf einen Papa kamen wie immer nur Mamas) durchliefen. Ein weiteres Mal wurde bei mir Schokoladenauspacken gespielt und ich fand es klasse, wie selbst die Erwachsenen einen solchen Spaß daran gefunden haben J Sehr interessant war, wie verschieden die Mamas auf das Spiel reagierten. So machten einige voller Elan mit, andere trauten sich nicht wirklich und wieder andere wusste nicht einmal wie man einen Würfel benutzt. Im Allen war der Tag genial, vor allem weil ich so zum ersten Mal einen näheren Kontakt zu den Eltern hatte und sie einmal in ihrer Art kennenlernen durfte. Die Eltern sind sehr verschieden, einige sprechen sehr gut Spanisch und unterhielten sich über Gott und die Welt mit mir, andere waren noch sehr traditionell und gingen ganz vorsichtig mit mir um und waren sehr höflich. Besonders viel Kraft gab mir der Kommentar einer Mama, die sich im Namen aller bei uns Freiwilligen herzlich bedankte, dass wir uns jeden Tag so liebevoll und mit Elan um ihre Kinder kümmern. Am Tag drauf fragte ich einige meiner Kinder, wie sie ihre Mama zum Muttertag glücklich gemacht haben. Ganz besonders süß fand ich Pancho, wie er mir erzählte, dass er ganz lange vorher 50$ (das sind etwa 3€) gespart habe, um mit seinen Geschwistern ihrer Mama einen Kuchen schenken zu können. Außerdem backte ich Kekse mit den Kindern, die wir als Herzform und mit bunten Kügelchen dekorierten. So viel Mühe wie die Kinder in das Dekorieren steckten, müssen sie ihre Mamas wirklich lieb haben!
Wenn ich ganz ehrlich bin bezweifele ich, dass sie sich zum Vatertag (der nach meinem Wissen in Mexiko gar nicht gefeiert wird) genauso viel Mühe geben würden. Oft ist es einfach so, dass der Papa sich nicht wirklich um die Kinder kümmert, teilweise sogar andere Frauen nachhause bringt und dies auch keineswegs vor seinen Kindern versteckt.

Wo wir doch gerade beim Thema „Mama“ waren. Zwar nicht ganz pünktlich zum Muttertag,
aber am 14. Mai kam mich dann meine Mama besuchen. Wir verbrachten drei wundervolle
Wochen gemeinsam, unternahmen kleine Ausflüge wie zu verschiedenen Wasserfällen, dem Strand und zu der Ruinenstätte Palenque. Über die Entstehung dieser Stätte und die Mayakultur möchte ich in diesem 7. Bericht ebenfalls ein wenig berichten.
Palenque ist eine der bedeutendsten Städte der Maya und gehört heutzutage zu den bekanntesten Ruinen ganz Mexikos. 1987 wurde sie zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Die Ruinen liegen mitten im Dschungel und die dort lebende Bevölkerung, die lacandonen werden als direkte Nachkommen der ehemaligen Bewohner Palenques betrachtet. Die ersten Spuren der Besiedelung Palenques lassen sich im vierten Jahrhundert nach Christus nachweisen. Der erste historisch bekannte König war K'uk' B'alam I. (431-435 nach Christus). Im 6. Jahrhundert entwickelte sich Palenque zu einer lokalen Großmacht und hatte großen Einfluss auf seine Nachbarstädte. Mittlerweile wurde die Stadt für Touristen geöffnet, wenn auch bis heute erst fünf Prozent der Bauten freigelegt sind. Der Rest ist sozusagen noch vom Dschungel „verschlungen“. Die ersten Ausgrabungen fanden 1940 statt und dauern noch immer an. Wie schon oben erwähnt, war Palenque damals eine bedeutende Maya Stadt.
Die Maya sind ein indigenes Volk in Mittelamerika, die neben den Azteken die größte Bevölkerung in Mexiko ausmachten. Die Maya lebten in Süd- und Südost-Mexiko (Yucatán) sowie in Teilen von Guatemala, Honduras und Belize. Dieses ausgedehnte Gebiet umfasste ungefähr 350.000 km². Heute leben zirka 6,1 Millionen Maya auf der Yucatán-Halbinsel sowie in Belize, Guatemala und Honduras. In Guatemala zählen etwa 40 % der Gesamtbevölkerung zu den Maya – in Belize sind es rund 10 %. Auch heute noch leben die meisten Maya vom Maisanbau. Die heutige Mayareligion ist eine Mischung aus Christentum und alten Maya-Traditionen. Als noch sehr traditionell lebende Gruppe sind die Lacandonen, ein Dschungelvolk in Chiapas, bekannt. Sie erkennt man an ihrer traditionellen Tracht eines einfachen weißen Baumwollgewands. Wie bei anderen indigenen Kulturen Mittelamerikas spielt auch bei den Maya das menschliche Blut eine besondere Rolle. Aus Sicht der Maya war das Blut Sitz der Seele und Lebenskraft. So waren Menschenopfer durchaus üblich. Die Art der rituellen Hinrichtungen reichte von Köpfen, Ertränken, Erhängen, Steinigen, Vergiften, Verstümmeln bis hin zu lebendig begraben. Zu den grausamsten Tötungsarten gehörte wie bei den Azteken das Aufschlitzen des Bauches und das Herausreißen des noch schlagenden Herzens.

Was in einem Erfahrungsbericht des Monats Juni natürlich auch nicht fehlen darf ist das aktuelle Thema der Fußball WM. Nicht nur in Deutschland wird diese mit viel Spannung, Freude, Nervenkitzel und die ein oder andere Enttäuschung verfolgt. Auch die Mexikaner lassen alles liegen und stehen, wenn es um das Thema Fußball und die WM geht. Die Läden verdienen an etlichen Fanartikeln, die Bars freuen sich über mehr Einnahmen und die Bevölkerung über spannende Partien und ihre Stars des mexikanischen Nationalteams. An einem Spieltag trifft man sich dann mit seinen Freunden um 9 Uhr in der früh oder um halb zwei mittags (bzw. um 6h morgens wenn Deutschland spielt :) ) in einer der vielen Bars, bestellt eine Runde Bier für alle und feuert mit Rufen wie „viva México“ (es lebe Mexiko!) oder „vamos équipo, vamos“ (auf
geht’s Team, looos!) die grünen Spieler an. Es ist in der Tat eine neue Erfahrung die Spiele mal am Morgen zu sehen, so müssen wir hier doch mit 7 Stunden „Verspätung“ mitfiebern. Mir gefällt die Stimmung, sie ist aber bei weitem nicht so wild wie in Deutschland. Es gibt keine „Autokorsos“, man sieht nicht mehr Flaggen als sonst auch an den Häusern hängen und riesige public viewing so wie ich sie aus Frankfurt kenne, gibt es hier auch nicht. Es wird eben anders gefeiert! Außerdem muss man dazu sagen, dass Basketball nach wie vor der Volkssport der Mexikaner ist, wobei Fußball schon gut aufholt. Ich genieße die Zeit der Fußball-WM hier sehr. Durch meine Arbeitszeit, die bis auf wenige Ausnahmen größtenteils auf den Nachmittag fällt, ist es mir möglich alle Spiele zu verfolgen und mit Freunden gespannt vor dem Fernseher zu sitzen.
Auch die Kids aus dem Projekt sind total im Fußballfieber. Stolz hat mir Emma erzählt, wie
sie am 1. Spieltag gegen Südafrika extra einen Fernsehapparat mit in die Schule genommen haben und bei refresco und palomitas (Softdrink und Popcorn) das Spiel gemeinsam geschaut
haben – statt Schule! Wenn dann wieder einmal Mexiko gespielt hat, unterhalte ich mich mit den Jungs beim Mittagsessen darüber, wie gut „Geovanni“ doch wieder gespielt hat oder dass
„conejo“ (der Torhüter, der den Spitzname „Hase“ trägt) das eine Tor doch hätte halten können. Seit kurzem ist auf dem Hauptlatz vor der Kathedrale auch eine Leinwand aufgebaut. Im Vergleich zu dem, was man aus Deutschland kennt, wirklich klein (vielleicht 3x4 Meter). Doch es ist etwas besonderes, dass so wirklich alle die WM mitverfolgen können und ihr Team anfeuern können. Dazu gibt es sogar Freibier und Freicocacola für alle. Mittlerweile weiß ich, dass dies eine Wahlkampagne einer der Bürgermeister-Kandidatinnen war, die Anfang Juli stattfinden wird. Mit Geschenken und ähnlichen Events versuchen sie die Wähler von sich zu überzeugen – und es klappt.
Heute am 27. Juni 2010 muss ich diesen Abschnitt zur Fußball WM leider schon beenden. Mexiko hat im Achtelfinale 3:1 gegen Argentinien verloren und muss nun Südafrika hinter sich lassen. Doch am nächsten Samstag wird Deutschland auf Argentinien treffen und dann zeigen wir ihnen mal wo der Hammer hängt!! :)

Mit diesen Worten verabschiede ich mich von euch und hinterlasse euch meinen 7.
Erfahrungsbericht. Er ist etwas kürzer geworden als die vorigen, was unter anderem daran liegt, dass mittlerweile wirklich alles so normal ist, dass ich über mein alltägliches Leben nicht mehr viel zu schreiben weiß.
Im nächsten und letzten Bericht werde ich über die „talleres de verano“ (Sommerworkshops) von Sueniños und über eine 2-wöchigen Friedensbeobachtung in einem kleinen Dorf hier in Chiappas schreiben, die ich schon seit Anfang meines Jahres hier machen wollte.

Seit gespannt und bis dahin lasst es euch gut gehen und passt auf euch auf!
Eure Tine

Montag, 7. Juni 2010

Fotos Mai

Fotos zu Mai -



wieder etwas zum Staunen

Mittwoch, 2. Juni 2010

6. Erfahrungsbericht


„Ejército de Zapatista de Liberación Nacional“
Zapatistische Nationale Befreiungsarmee
Abkürzung: EZLN

im Alltagssprachgebrauch: Zapatisten


INHALT:
1) Gründung
2) Anhänger
- Revolutionäre Frauengesetz
3) Politische und soziale Ziele
4) 1. Januar 1994
- Menschenrechtsverletzungen wie das Massaker von Acteal
5) Situation heute

1. Gründung
Die EZLN wurde am 17. November 1983 gegründet. Ihre Wurzeln lassen sich jedoch in den
unabhängigen Campesino- und Indígena-Organisationen (Bauernorganisationen) der 70er und 80er Jahre finden. Es war ein Zusammenschloss aus ganz verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die alle gemeinsam ein Ziel hatten: eine Veränderung, da sie mit ihrer momentanen Situation
unzufrieden waren. Bis die als Befreiungsarmee gegründete EZLN richtig Fuß fasste, dauerte es jedoch eine Weile, da durch die Unterschiedlichkeit der Ideen ihrer Mitglieder es zunächst unmöglich schien, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Innerhalb der ersten zehn Jahre entwickelte sich die EZLN mehr zu einer Guerillaarmee, da ihre Vorgehensweise nicht selten
(gerade zum großen Aufstand 1994) bewaffnet ablief. Am 1. Januar 1994 trat die EZLN das erste Mal in die breite Öffentlichkeit und es ist das zentrale Datum, wenn man von den Zapatisten spricht. Doch dazu später mehr…
In der Selva Lacandona, einem Urwaldgebiet an der Südostgrenze Mexikos wurde die Partei 1983 also gegründet. Seit dem gewann sie mehr und mehr Anhänger und ist heutzutage eine der aktivsten linksgerichteten rebellischen Parteien, die mittlerweile nicht nur in Mexiko und Lateinamerika, sondern auf der ganzen Welt bekannt ist. Ihr Name lässt sich zurückführen auf Emiliano Zapata, einen der historischen Führer der mexikanischen Revolution, in dessen Tradition sich die EZLN sieht.
Daher werden sie auch Zapatistas (oder auf Deutsch „Zapatisten“) genannt. Emiliano Zapatas Leitspruch „Justicia, tierra y libertad“ – Gerechtigkeit, Land und Freiheit – ist ebenfalls zum Leitspruch der Zapatisten geworden.

2. Anhänger
Wie schon erwähnt weist die EZLN eine hohe Diversität an Anhängern auf. Auch innerhalb der Partei gibt es verschiedene Züge, was schon zu einigen Abspaltungen und inneren (teils auch bewaffneten) Konflikten führte.
Im Allgemeinen findet sich in der EZLN jedoch der Teil der Bevölkerung zusammen, der sich unrecht behandelt, ausgestoßen und benachteiligt fühlt. Im weitesten Sinne ist das die (untere) Mittelschicht bis hin zur „letzten Stufe“, den indigenas, die in Mexiko sehr häufig immer noch nicht als Teil der Bevölkerung angesehen werden und die grundlegendsten Rechte eines Menschen nicht genießen dürfen. Die indigenas machen den größten Teil der Zapatisten aus, dazu kommen Land- und Fabrikarbeiter, Studenten und benachteiligte Frauen und Kinder, vor allem aus den Bergregionen des Hochlandes Chiapas. Chiapas und der Osten Mexiko ist nach wie vor Hauptschauplatz des Zapatismus. Hier befinden sich auch die 5 Hauptsitze der EZLN, die sogenannten „caracoles“ (Schneckenhäuser).
Den Frauen kommt in der EZLN eine ganz besondere Rolle zu. Sie werden in die Regierung mit einbezogen und sind als voll- und gleichwertiges Mitglied der Partei angesehen. Dies ist wirklich revolutionär, da Frauen in Chiapas nach wie vor mit hoher Diskriminierung zu kämpfen haben und oftmals werden sie durch ihren Mann ausgebeutet oder dürfen nicht entscheiden ob und wen sie heiraten. Im Durchschnitt muss jede indigene Frau fünf minderjährige Kinder versorgen, dazu ihre Männer und weitere Familienangehörige. Die vielen Geburten schwächen ihre Gesundheit und sind eine häufige Todesursache. Diese Umstände brachten die Frauen im zapatistischen Umfeld dazu, sich für ihre Gleichberechtigung einzusetzen. Sie begannen als Frauen für die Guerilla zu kämpfen, gründeten aktivistische Frauengruppen und brachten sich sogar in die Regierung mit ein, die vorher ganz streng Männersache war. Auch innerhalb der zapatistischen Familie brachte dies große Veränderung mit sich. So war Frau nicht mehr bloß Hausfrau, sondern die häusliche Arbeit so wie das Kinderaufpassen wurde gerecht auf beide Partner verteilt.
Die Verabschiedung des „Revolutionären Frauengesetztes“ am 8. März 1993 wird von den
Zapatisten häufig als Revolution innerhalb der Revolution bezeichnet. 1996 wurde das Frauengesetz erweitert und beinhaltet nun 31 Punkte, die das Leben der Frau um einiges
erträglicher und gerechter machen.

Das Revolutionäre Frauengesetz von 1993:
Erstens: Frauen haben, unabhängig von Rasse, Glauben, Hauptfarbe oder politischer Orientierung, das Recht, sich am revolutionären Kampf an der Stelle und in dem Ausmaß zu
beteiligen, wie ihr Wille und ihre Fähigkeit es erlauben.
Zweitens: Frauen haben ein Recht auf Arbeit und auf eine gerechte Entlohnung.
Drittens: Frauen haben das Recht, zu entschieden, wie viele Kinder sie bekommen und aufziehen können.
Viertens: Frauen haben das Recht, sich an den die Gemeinden betreffenden Anliegen zu beteiligen und öffentliche Posten zu bekleiden, wenn sie dazu frei und demokratisch gewählt worden sind.
Fünftens: Frauen und Kinder haben das Recht, bei Gesundheitspflege und Ernährung an erster Stelle berücksichtigt zu werden.
Sechstens: Frauen haben ein Recht auf Bildung.
Siebtens: Frauen haben ein Recht, ihren Partner frei zu wählen und nicht zur Heirat gezwungen zu werden.
Achtens: Keine Frau darf geschlagen oder körperlich misshandelt werden. Verbrechen wie versuchte oder vollzogene Vergewaltigung werden schwer bestraft.
Neuntens: Frauen können Führungspositionen in der Organisation und militärische Grade in den revolutionären Streitkräften begleiten.
Zehntens: Frauen kommen in den Genuss aller Rechte und Pflichten, die in den revolutionären Gesetzen und Vorschriften vorgesehen sind.

3. Politische und soziale Ziele
Die EZLN richtet sich gegen den Neoliberalismus und kämpft als linke Organisation gegen die kapitalistische Globalisierung und setzt sich für eine autonome Selbstverwaltung ein. Im Gegensatz zu anderen Guerillabewegungen geht es ihr jedoch nicht darum, die Macht im Staat zu übernehmen. Sie kämpft vielmehr im Allgemeinen um eine Veränderung in der Politik. Dabei ist nebensächlich, welche Partei letztendlich an die Macht kommt, Hauptsache sie verfolgt die Ziele einer im Sinne des Volkes handelnden Regierung. „Mandar obedeciendo“ – gehorchend befehlen, ist eine der Hauptaussagen der EZLN. Das Volk soll Hauptakteur sein und autonome Strukturen auf kommunaler und regionaler Ebene sollen aufgebaut werden. Die Regierung soll lediglich als ausführende und leitende Hand des Volkes dienen, sich aber voll und ganz nach dessen Interessen richten. Dabei gebe es kein vorgeschriebenes Gesetz wie die Regierung zu handeln habe. Dies sei abhängig von der momentanen Situation und der Bedürfnisse der Menschen. „Preguntando caminamos“ – fragend gehen wir voran, ein weiteres Basiselement der EZLN, soll deutlich machen, dass die Regierung flexibel sein muss und ihr Handeln stets skeptisch hinterfragen müsse. Mit dem großen Aufstand 1994 zeigte die EZLN, dass sie politische Entscheidungen nicht stillschweigend hinnimmt und sich (auch rebellierend) für ihre Ziele einsetzt. Mit der Einführung des NAFTA-Abkommens am 1. Januar dieses Jahres habe die mexikanische Regierung die Wirtschaft schutzlos einem Wettbewerb mit den internationalen Unternehmen ausgesetzt, denen Mexiko nicht gewachsen sei. Die EZLN kritisiert darüber hinaus, dass die Kleinbauern nun völlig vor ihrem Ende ständen und Arbeitslosigkeit und Verhungern als Folge sähen. Kleine und mittelständige Betriebe hätten keine Chancen mehr auf dem Markt und die Reichtumsverteilung in Mexiko werde sich noch mehr verstärken. Auch den „Plan Puebla-Panamá“ lehnen die Zapatisten strikt ab, da er für die ärmere Bevölkerung bloß negatives zur Folge hätte. Ganze Bevölkerungen sollen umgesiedelt werden, damit Straßen und Häfen gebaut, Elektrizität gewonnen und die Bereiche Handel, Tourismus und Verkehr verstärkt werden können. Gewinner dieses Vorhabens seien abermals lediglich die Elite der Länder. Die EZLN fordert die Rücknahme dieses Planes und fordert Autonomie für die ländlichen und indigenen Gemeinden.


4. 1. Januar 1994
Mit der Einführung des NAFTA-Abkommens rat die EZLN das erste Mal öffentlich in Erscheinung. Maskierte Kämpfer besetzten gleichzeitig fünf Bezirkshauptstädte im Osten von Chiapas, unter anderem die für den Tourismus sehr bedeutende Stadt San Cristóbal de las Casas. Sie erklärten der mexikanischen Regierung den Krieg und ihren Willen, bis nach Mexiko-Stadt zu marschieren um dort die Regierung zu stürzen. Die mexikanische Armee reagierte mit einer Gegenoffensive und bei der Rückeroberung der vier besetzten Orte und den sich anschließenden zwölftägigen Kämpfen wurden etliche Menschen getötet, ehe die Regierung die Kämpfe einstellte. Nach einigen Tagen des Kampfes zogen sich die Zapatisten aus den Städten in die schwer zugänglichen Dschungeltäler zurück, in der die sie unterstützende indigene Bevölkerung lebt. Am 9. Februar 1995 folgte ein Überraschungsangriff der mexikanischen Armee, der zum Verlust einiger wichtiger Stützpunkte der Zapatisten führte. Des Weiteren wurden mehrere zehntausend Soldaten der mexikanischen Armee entlang der wichtigsten Straßen positioniert, damit sie so die Vorgehensweisen und Entwicklungen der Zapatisten besser kontrollieren konnten. Neu ins Leben gerufene paramilitärische Gruppen der Regierung sind verantwortlich, dass seitdem immer wieder blutige Überfälle auf zapatistische und sympathisierende Gemeinden stattgefunden haben. Menschenrechtsverletzungen stehen in den Bergregionen des Hochlandes Chiapas an der Tagesordnung. Eins der grausamsten Vorkommnisse war das Massaker von Acteal am 22. Dezember 1997. Bei dem Überfall ermordeten Paramilitärs 45 Menschen, darunter Kinder und schwangere Frauen. Polizei und Militär hätte eingreifen können, verließen jedoch nicht ihre Posten. Die Opfer gehörten einer christlich-gewaltfreien Gruppe „las abejas“ – die Bienen an, die den politischen Forderungen der EZLN nahe stehen. Diese Angriffe gehören zur Strategie des „Krieges niederer Intensität“, durch welche die EZLN aufgerieben werden sollte.

5. Situation heute
Am 9. August 2003 wurden die sogenannten „caracoles“ (Schneckenhäuser) gegründet. Das sind fünf regionale Verwaltungszentren, in denen die zapatistische Regierung ihren Sitz hat. Diese Regierung ist ihrer Bevölkerung sehr nahe und gemäß dem Demokratieverständnis der EZLN ist es sehr wichtig, dass alle Belange der jeweiligen Region in dessen Interesse gelöst werden. Dabei werden auch die Anliegen von Anwohnern bearbeitet, die nicht zapatistisch sind. Der Aufbau von mehr Autonomiestrukturen ist für die EZLN ein wichtiger Punkt, um der „ignoranten offiziellen Politik gegenüber der indigenen Bevölkerung Mexikos entgegenzutreten“. Es existieren seit 1995 auf kommunaler Ebene 38 autonome Gemeinden, die nun in den fünf caracoles zusammengefasst wurden. Sie alle haben ein regierungsunabhängiges Gesundheits und Bildungssystem, einkommensschaffende Projekte sowie ihre eigene Infrastruktur. An einer eigenen Gesetzgebung arbeiten sie noch. Anfang Januar 2006 begann eine auf mehrere Monate

angelegte Diskussionstour, in der Subcommandante und EZLN-Sprecher Marcos quer durch Mexiko reiste, um eine breite politische Bewegung zu schaffen. Im März 2007 begann eine zweite Phase, um ein Kampfprogramm gegen das derzeitige politische System zu entwickeln. Diese sogenannte „andere Kampagne“ ist geprägt von Demonstrationen und Märschen. Trotz ihrer seit elf Jahren anhaltenden Waffenruhe und ihrem Rückzug in die Urwälder hat die EZLN ihr politisches Anliegen medienwirksam voranbringen können. Der mexikanischen Gesellschaft ist die Problematik der Situation der unterprivilegierten indigenen Bevölkerungsschichten erstmals auf breiter Basis bewusst geworden. Ermutigt durch das Auftreten der EZLN hat es in weiten Teilen Mexikos nach 1994 mehrere zivile Protestkampagnen gegeben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass immer noch viel Arbeit geleistet werden muss, bis die soziale Ungleichheit zwischen indigenas und dem Rest des Landes völlig abgeschafft ist. Nichtsdestotrotz hat die EZLN einen großen Schritt dazu beigetragen, dieses Problem wieder öffentlich und zu einem aktuellen Thema zu machen – und das weit über den amerikanischen Kontinent hinaus. Mit verschiedenen zivil-politischen Initiativen setzt sich die EZLN für eine Verbesserung der Lage der indigenen Bevölkerung, eine Sozialisierung der mexikanischen Volkswirtschaft und die Demokratisierung Mexikos ein. Gleichzeitig wird sie jedoch nach wie vor bedroht und immer wieder angegriffen, einerseits von rechtsgerichteten Paramilitärs, aber auch von der Regierung selbst, die fürchtet, dass die EZLN zu stark wird und so die Regierung und ihre Ideen schwächen könnte. Ein Versöhnen zwischen der Regierung und der EZLN ist in naher Zukunft sehr unwahrscheinlich.


*** Un mundo donde quepan muchos mundos
- Eine Welt in der viele Welten Platz finden ***

weiteres Demokratieprinzip der EZLN